I. Griechische lind lateinische Marienklagen.
Wenn auch das Johannes-Evangelium noch von keiner Klage
der mitleidenden Maria zu berichten weiß, hat man doch früh
erkannt, wie fruchtbar ihre Compassio für die Dichtung, die
poetische Betrachtung der Passion ist. In den „Meditationes“
Cap. 41 sagt Augustinus (*J* 430) von der Gottesmutter: „Quos
fontes dicam erupisse de tuis pudicissimis oculis cum attenderes
unicum filium tuum innocentem coram te ligari Quibus
singultibus aestimabo purissimum pectus tuum vexatum esse etc.“
— Zu Augustins Zeit wird auch das sogenannte Nicodemus-
Evangelium entstanden sein (W. S. 8 ff.), welches in den
„Acta Pilati“ der Version B eine umfangreiche, die älteste be
kannte Mkl. enthält. Daß diese im Abendland verbreitet ge
wesen sei, hat sich bisher nicht nachweisen lassen. Auch die
Mkl. der späteren griechischen Liturgie, die sog. STccvQod-soroxCa,
zeigen sich von ihr nicht nachweislich beeinflußt. Sie tragen
einen von den übrigen Mkl. abweichenden Character: es sind
stets kurze Einzelstrophen, nur einen, meist recht blassen Ge
danken ausdrückend und immer nur, wenn überhaupt an jemand,
an Jesum gerichtet. 1 ) Durch die gleiche Situation sowie gleiche
Anführung einiger Bibelstellen (wie z. B. Luc. II, 35; Jes. LIII, 2)
erklären sich einzelne Übereinstimmungen zwischen den Mkl.
der Liturgie und der genannten. Nicodemus-Klage. Hier findet
sich auch die in den anderen griechischen und in lateinischen
(und nationalen) Klagen so beliebte Gegenüberstellung der schmerz
losen Geburt Jesu und der Schmerzen Mariae bei seinem Tod.
Alle geistlichen Autoren mögen sie unabhängig aus dem besonders
für die griechische Kirche so wichtigen Werke des Johannes
l ) Genauer habe ich nur die Mr/vn~a durchgesehen ; cf. auch Krurabacher:
Geschichte der byzantinischen Litteratur S. 658.
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