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Ebenso selten wie eine glückliche Ehe wird man in diesen
Kreisen wahre Freundschaft antreffen. Was den einen an den
andern bindet, sind zumeist ganz materielle Gründe des Vorteils,
mit deren Wegfall auch der freundschaftliche Verkehr gelöst sein
würde. 1 ) Nicht selten dient die Freundschaft nur dazu, sich in eine
Familie einzuschleichen, um desto besser und ungenierter mit der
Gattin des „Freundes“ verbotenen Umgang pflegen zu können. 2 )
Die ganze Aufmerksamkeit der vornehmen Welt war darauf
gerichtet, durch peinliche Beobachtung der am Hofe Karls II.
herrschenden Formen zu glänzen — z. B. essen und trinken ä la
mode, Corrantos komponieren, Gedichtchen verfassen, witzige
Beden führen. Ernste Arbeit tritt völlig hinter dem Vergnügen
— Kartenspiel, Jagd, Reitsport etc. — zurück. Diese Art der
Betätigung scheint für jeden gentleman unerlässlich gewesen zu
sein, selbst wenn seine finanzielle Lage so schlecht war, dass kaum
der Schneider seine Rechnung bezahlt bekommen konnte. 2 ) Der
Heldenmut findet seinen besten Ausdruck in nächtlichen Lärm
szenen, Fenster einwerfen, Konflikten mit der Polizei etc. 3 )
Das starke Betonen der formellen Seite im gesellschaftlichen
Verkehr hatte natürlich eine grosse Oberflächlichkeit des Empfindens,
selbst in den wichtigsten Lebensfragen, zur Folge: Vielwisserei
ist Mode. 3 ) Dem selbstbewussten, hyperklugen Modegecken steht
die eitle, launische Kokette zur Seite. Die Oberflächlichkeit zeigt
sich auch in der Ruhmsucht der vielen Dichterlinge, die für nichts
und wieder nichts ihren guten Namen aufs Spiel setzen. 3 ) Der
Verzicht auf jegliches Honorar hatte dieser Art Leute bald auf
der englischen Bühne Eingang verschafft. Als einzige Entschädigung
verlangen sie unbedingte Anerkennung ihrer Talente und ihrer
Werke. 4 ) Wird ihnen diese nicht zu teil, sind sie in ihrer Ehre
gekränkt und suchen sich an ihren Kritikern mit dem Degen zu
rächen. 4 ) Allerdings sehen sie sich in der Wahl ihrer Gegner
stets vor. 4 )
Die obigen Ausführungen finden ihre Anwendung nur auf
die vornehmen Kreise Londons, die unter dem unmittelbaren
1) S. das Verhältnis der Lästigen zu Stanford.
2 ) „The Süllen Lovers“, Akt II, Szene 3.
s ) „The Süllen Lovers“, Akt I, Szene 1; Akt III, Szene 1.
4 ) „The Süllen Lovers“: Preface; Akt III, Szene 1.