VI. Kulturgeschichtliches.
In kulturgeschichtlicher Hinsicht ist das Drama des 17. Jahr
hunderts von der höchsten Bedeutung, weil man in ihm den
Niederschlag der damals herrschenden Sitten, allerdings vornehm
lich der vornehmen Gesellschaft, hat.
Völlige moralische Zerrüttung ist das Charakteristische dieser
Periode. Dieser sittliche Verfall war die notwendige Folge des
allzu strengen moralischen Zwanges unter der voraufgehenden
Herrschaft der Puritaner.
Für das kulturgeschichtliche Bild erhalten wir aus „The
Süllen Lovers“ etwa folgende Züge:
Wie sehr der damaligen Welt der Massstab für die moralische
Wertung abhanden gekommen war, zeigt deutlich der unbe
anstandete Verkehr der Lady Vaine mit der züchtigen und
ehrbaren Emilia. Sie gehört eben zur Aristokratie. Ob sie
zugleich eine Dirne ist oder nicht, kommt für die moralische
Wertung nicht in Betracht. Mit dieser Protegierung der
Prostitution hängt der Verfall der Ehe, des wichtigsten Pfeilers
eines jeden gesellschaftlichen Baus, zusammen. Diese scheint
in der Tat bloss als Deckmantel gedient zu haben, unter dem
sich nur noch besser sündigen liess. 1 ) Ebenso leichtfertig wie
man sie schliesst, löst man sie wieder, ohne weitere For
malitäten. 1 ) Der erste beste Geistliche ist stets bereit, den
Akt der Trauung zu vollziehen. 1 ) Man heiratet eben nur nach
Geld und Ansehen, eheliches Glück ist Nebensache. 1 ) Um sich
das harte Joch der Ehe erträglicher zu machen, haben die meisten
Frauen neben dem Gatten ihre geheimen Verehrer« 1 )
D S. „The Süllen Lovers“, Akt I, Szene 1; Akt V, Szene 2; Akt III,
Szene 1; Akt V, Szene 2.