Full text: Der Parallelismus zwischen Chateaubriand und Lamartine

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Auch die Epen Lamartines erinnern in zahlreichen Einzelzügen 
an Chateaubriands Atala. Das Zusammenleben Jocelyns und Lau- 
rence’s in der Grotte des Aigles findet sein Seitenstück in dem 
jenigen Chactas mit Atala in der Wildnis; in beiden Dichtungen 
wird durch einen Eid die Katastrophe herbeigeführt, die hier wie 
dort von der liebenden Jungfrau schon mit banger Furcht vor 
geahnt wird. 216 ) Der Bischof im „Jocelyn“ ist wenigstens insofern 
eine Wiederholung des rater Aubry, als ihm wie diesem um seines 
Glaubens willen die H;inde verstümmelt worden sind, 217 ) und die 
Schilderung der letzten Kommunion und Ölung, die Atala von 
dem Einsiedler erteilt werden, findet beim Tode des Bischofs in 
„Jocelyn“ ein Gegenstück. 217 ) 
Für „Jocelyn“ mögen diese Beispiele der Beeinflussung Lamar 
tines durch Chateaubriands „Atala“ genügen. In „La Cliute d’un 
Ange“ fällt uns zunächst Cedars Gefangenschaft als Gegenstück 
zu der des Chactas auf; in beiden Dichtungen bringen die Frauen 
dem gefesselten Fremdlinge ein besonderes Interesse entgegen und 
hier wie dort ist es eine liebende Jungfrau, welche die Befreiung 
des Gefangenen bewerkstelligt. Auch darauf sei hingewiesen, dafs 
die Naturmenschen sowohl bei Chateaubriand wie bei Lamartine 
ein gleich grofses Gewicht auf den Totenkult legen. Bei ersterem 
nehmen die Indianer die Gebeine ihrer Vorfahren mit sich auf die 
Wanderung, weil „c’est la terre de la patrie“; 218 ) Lamartine 
sagt: „C’est la cendre des morts qui crea la patrie“, 219 ) und die 
Totenklage, welche die junge Indianerin über ihr allzu früh ge 
storbenes Kind anhebt, 220 ) findet eine würdige Parallele in den 
innigen Schmerzensworten der Barbarenmutter in der „Chute d’un 
Ange“. 221 ) 
Schliefslich ist im Allgemeinen nachdrucksvoll hervorzuheben, 
dafs Lamartine sich in Chateaubriands Denkweise derart eingelebt 
hat, dafs er häufig, offenbar ohne sich selbst dessen bewufst zu 
sein, poetische Worte, Formeln, Motive usw. anwendet, welche be 
reits Chateaubriand gebraucht hatte, so dafs in diesen Fällen also 
nicht eigentliche Entlehnung vorliegt, sondern die Wirkung einer 
geistigen Angleichung zu beobachten ist. 
Nach dem Gesagten würde man zu der Erwartung berechtigt 
sein, dafs Lamartine, da er teils bewufst, teils unbewufst Chateau 
briand nachahmte, diesem stets hohe Verehrung gezollt habe. 
Indessen bestätigt sich diese Erwartung nicht: Die Anerkennung, 
die Lamartine als Jüngliug dem damals verehrten Meister in so
	        
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