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statt einer wirklichen Persönlichkeit wird ein Geschöpf der Phantasie,
ein Phantom 176 ) gesetzt, wodurch die Poesie etwas Zerflossenes,
Ungreifbares, etwas, das mehr geahnt als klar aufgefafst werden
kann, erhält. Es sind also beide Dichter auch in sprachlicher,
bezw. sprachästhetischer und sprachrythmischer Beziehung Be
gründer der Romantik, die sich auf diesem Gebiete zu der Dich
tung der Parnassiens und weiterhin zu derjenigen der Impressi
onisten und Symbolisten weiter entwickelt hat.
Neben dieser hauptsächlichen Parallelerscheinung in der Sprache
Chateaubriands und Lamartines sei noch auf einige Einzelheiten,
die gleichfalls beiden gemeinsam sind, hingewiesen.
Beide lieben es zu „arrangieren“, 177 ) namentlich um Kontraste
in ihrer Erzählung zu schaffen. 178 ) Man denke z. B. wieder an
die Schilderung der Mississipi-Landschaft. Gesehenes und Ge
lesenes 179 ) vereinigt der Dichter hier so, dafs ein Bild voller
Gegensätze entsteht: Auf dem westlichen Flufs-Ufer Prärieen, so
weit das Auge reicht, eine grüne Ebene, selten von kleinen Büffel-
herden belebt; das östliche Ufer dagegen eine Berglandschaft, mit
Felsen und Klippen, Bäumen, Kletter- und Schlinggewächsen, be
völkert von einer Unzahl von Tieren. Dort tiefe Ruhe, ununter
brochene Stille, hier alles Bewegung und Geräusch. 180 ) Diesem
.Beispiele liefse sich eine beliebige grofse Anzahl ähnlicher anreihen.
Wie sehr Lamartine die Antithese liebt, zeigt schon eine Be
trachtung der Meditation „L’Isolement.“ Da steht dem brausenden
Strome mit den schäumenden Wogen (Y. 5) der ruhig daliegende
See mit seinen schlummernden Wassern (V. 7) gegenüber; hier
steigt der Rauch gerade wie eine Säule in die Luft, dort lagert
er schwer über den Dächern der Hütten; 181 ) rayon (V. 10) kontra
stiert mit ombres (V. 11), das Abendrot (V. 10) mit dem auf
gehenden Monde (V. 11) usw. Besonders auffallend ist in dieser
Beziehung Vers 25, der ursprünglich lautete „Que me font ces
vallons, ces iles, ces chaumieres,“ und dem der Dichter später
seine jetzige Gestalt gab, da „palais“ einen vorzüglichen Gegensatz
zu „chaumieres“ ergab. 182 )
Schliefslich seien hier noch aus der grofsen Zahl von Ver
gleichen, durch die unsere beiden Dichter ihre Werke beleben,
die „comparaisons ascendantes“ ,83 ) genannt. Chateaubriand be
dient sich ihrer gelegentlich; hei Lamartine sind sie eine sehr be
liebte Form der Vergleichung. 184 ) Wenn es, wie Borinski sagt,
„der höchste Zweck des Gleichnisses ist, ein Unsinnliches zur