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die in gewissem Sinne seine Schüler waren, sich weitgehende
sprachliche Kühnheiten gestattet und damit häufig grofsen Beifall
gefunden hatten. 159 ) Lamartine dagegen beging Verstöfse gegen
den Sprachgebrauch z. T. aus blofser Nachlässigkeit, aus Mangel
an Sorgfalt, indem er es verschmähte, seinen Dichtungen die letzte
sprachliche Feile zu geben, 160 ) teilweise, namentlich später, als
man den Kühnheiten der romantischen Schriftsteller zujubelte, um
gleichfalls kühn zu sein. 161 )
Trotz dieses teilweisen Gegensatzes liegt immerhin auch hier
ein bemerkenswerter Parallelismus zwischen dem Schaffen unserer
beiden Dichter vor: Jeder von ihnen ist frei von der Ängstlichkeit,
mit welcher die Dichter der klassischen Richtung sich den Vor
schriften der Grammatik und des akademischen Wörterbuches
unterwarfen; jeder von ihnen schaltet und waltet mit einer ge
wissen Selbstherrlichkeit über die Sprache.
Wenn nun auch diese Freiheit in der Handhabung der Sprache
nicht als etwas Originales betrachtet werden darf, sondern mehr
oder weniger allen Romantikern eigen ist, so entbehrt doch weder
Chateaubriand noch Lamartine der Originalität in Bezug auf den
sprachlichen Ausdruck; es hat vielmehr jeder von beiden etwas
ganz Bedeutendes auf diesem Gebiete geleistet: Chateaubriand hat
eine poetische Prosarede geschaffen, 162 ) Lamartine hat der Vers-
rede die Klarheit und unmittelbare Verständlichkeit der Prosarede
gegeben. 163 ) Die Sprache eines jeden der beiden Dichter ist aus
gezeichnet durch höchsten Wohlklang. „C’est par cette harmonie,“
sagt Saint-Beuve, „non moins que par l’eclat des couleurs, que
M. de Chateaubriand est grand poete et grand magicien. A l’aide
des sons et de certains mots bien places il produit des effets
d’enchantement. Quand on sait tirer de tels effets de la prose
on a presque le droit de dedaigner les vers.“ 164 ) Barat urteilt
über Lamartine: „. . . il est le premier poete qui ait „chante“,
et toute sa poesie est chantante; on ne peut rien lire de lui,
meine ä voix basse, sans subir la mesure et suivre le rythme de
ce chant . . . ,“ 165 ) Mit dieser Harmonie bezwecken Chateaubriand
und Lamartine dasselbe wie mit ihren Landschaftsschilderungen 166 ):
der eine wie der andere erweckt hierdurch Stimmung. „Der
Stimmungsdichter“, sagt R. M. Werner, „wird sich bemühen, uns
in dieselbe Stimmung zu zwingen, die ihn erfüllt; er erstrebt eine
musikalische Wirkung, weshalb er dem musikalischen Teile der
Poesie die gröfste Aufmerksamkeit schenken mufs. Sehr häutig