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nahmsweise eine Handlung vor sich gehen. Jeder von beiden hat
gelegentlich einen Kerker zu schildern, 153 ) oder eine Grotte, 154 )
oder einen sonstigen geschlossenen Raum, aber man merkt leicht,
dafs sie sich auf diesem Gebiete der Schilderung nicht heimisch
fühlen: Sie bemühen sich dann gar nicht oder doch nur wenig,
die Szenerie zu malen, — sie wird gewöhnlich nur angedeutet. Die
Landschaft eben ist recht eigentlich der Rahmen ihrer Dichtung.
Aber auch in dieser Beziehung ist eine Steigerung und eine Ver
innerlichung bei Lamartine Chateaubriand gegenüber festzustellen.
Barat sagt hierüber: „Ce sentiment de la nature avait ete une
passion litteraire au temps de J.-J. Rousseau, une admiration
d’artiste avec Chateaubriand; il devient avec lui [Lamartine] une
des plus serieuses et des plus süres affections humaines, la nature
devient l’amie dont la beaute fait aimer et vivre (Ischia), dont le
calme penetre et console (Vallon). Par lui la nature devient
poesie et tout ce qui est en eile, c’est a dire tout, absolument
tout, devient poetique, et il pourrait parier de tout en vers sans
precautions ni periphrases, puisqu’il aime vraiment ce dont il
parle.“ 155 )
§ 7.
Der sprachliche Ausdruck.
Der jugendliche V. Hugo hatte die „Meditations“ Lamartines
bei ihrem Erscheinen mit Freuden begriifst; er erblickte in ihnen
die Schöpfungen einer wahren Dichterseele und forderte den un
bekannten Dichter derselben 156 ) auf, mutig auf der eingeschlagenen
Bahn fortzuschreiten. Aber trotz seiner Begeisterung waren ihm
„die wiederholten Nachlässigkeiten, die Neologismen, die Wieder
holungen und die Unklarheit“, die manchmal in den Dichtungen
auftraten, nicht entgangen.’ 57 ) — Dieselben Fehler waren Chateau
briand vorgeworfen worden, als er mit seiner ersten Dichtung in die
Öffentlichkeit trat. 158 ) Bei jeder neuen Veröffentlichung der beiden
Dichter wurden dieselben Vorwürfe von neuem erhoben, ohne dafs
die Angegriffenen von solcher Kritik Notiz nahmen. Chateau
briand erlaubte sich, wie es scheint, geflissentlich jene Neuerungen,
zunächst, weil er durch sie seine französische Muttersprache zu
fördern und ihr gröfsere dichterische Ausdrucksfähigkeit zu ver
leihen bestrebt war; in späteren Werken scheute er vor sprach
lichen Gewaltsamkeiten um so weniger zurück, als jüngere Dichter,