Full text: Der Parallelismus zwischen Chateaubriand und Lamartine

66 
jahren schon fleifsig mit der Dichtung und schöpft aus ihr schliefs- 
lich seinen Trost. So ist es zu erklären, dafs der Weltschmerz, 
der uns aus seinen Dichtungen entgegentritt, soweit er nicht ein 
anempfundener, ein Kunstprodukt ist, 90 ) eher als ein abgeklärtes, 
edles, harmonisches Gefühl des Verzichtens denn als ein greller 
Schrei der Verzweiflung erscheint. 91 ) 
§ 4. 
Der religiöse Grundzug der Dichtung Chateaubriands 
und derjenigen Lamartines. 
In seinem G. d. ch. sucht Chateaubriand theoretisch zu er 
weisen, dafs „[le christianisme] se prete merveilleusement aux 
elans de Tarne, et peut enchanter Tesprit aussi divinement que 
les dieux de Virgile et d’Homere.“ 92 ) Seine ganze dichterische 
Tätigkeit ist ein Versuch, diese These auch durch die Praxis zu 
bekräftigen. Schon Atala und Rene dienen dazu, so merkwürdig 
uns das anf den ersten Blick auch erscheinen mag, 93 ) da in 
beiden Erzählungen die christliche Religion eine nicht eben sehr 
glückliche Rolle spielt: Hier wie dort führt sie die Katastrophe 
herbei. Aber das Auftreten einer moralisierenden Person, des 
Pater Aubry in „Atala,“ des pere Souel in „Rene,“ rechtfertigt 
die Einfügung der beiden Novellen in den G. d. ch., — allerdings 
nur bis zu einem gewissen Grade. Denn die Lehre, die der Pater 
Souel dem jungen Europäer erteilt, ist ebensosehr heidnisch, wie 
sie christlich ist; das Gebot „sei deiner Pflichten als Mensch ein 
gedenk und verträume dein Leben nicht tatenlos“ ist allgemein 
menschlich. Ebenso sind die Reden des pere Aubry am Toten 
bette der Atala, wie schon Morellet in seinen „Observations 
critiques sur Atala“ 94 ) nachwies, gröfstenteils wenig angebracht 
und lassen die Tendenz der Dichtung zu stark und in störender 
Weise hervortreten. Andererseits aber bildet „Atala“ eine Art 
von reizvoller Ergänzung des Teiles des G. d. ch., der die Missions 
tätigkeit verherrlicht; 95 ) es wird uns die segensreiche Tätigkeit 
des alten Missionars in den amerikanischen Urwäldern anschaulich 
geschildert 96 ). Von diesem letzten Punkte abgesehen können wir 
nach dem bisher Gesagten wohl behaupten, dafs „Atala“ durch 
die einigermafsen gewaltsame Einführung der christlichen Tendenz 
in dieser Dichtung mindestens nicht gewonnen hat. Wenn Cha
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.