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jahren schon fleifsig mit der Dichtung und schöpft aus ihr schliefs-
lich seinen Trost. So ist es zu erklären, dafs der Weltschmerz,
der uns aus seinen Dichtungen entgegentritt, soweit er nicht ein
anempfundener, ein Kunstprodukt ist, 90 ) eher als ein abgeklärtes,
edles, harmonisches Gefühl des Verzichtens denn als ein greller
Schrei der Verzweiflung erscheint. 91 )
§ 4.
Der religiöse Grundzug der Dichtung Chateaubriands
und derjenigen Lamartines.
In seinem G. d. ch. sucht Chateaubriand theoretisch zu er
weisen, dafs „[le christianisme] se prete merveilleusement aux
elans de Tarne, et peut enchanter Tesprit aussi divinement que
les dieux de Virgile et d’Homere.“ 92 ) Seine ganze dichterische
Tätigkeit ist ein Versuch, diese These auch durch die Praxis zu
bekräftigen. Schon Atala und Rene dienen dazu, so merkwürdig
uns das anf den ersten Blick auch erscheinen mag, 93 ) da in
beiden Erzählungen die christliche Religion eine nicht eben sehr
glückliche Rolle spielt: Hier wie dort führt sie die Katastrophe
herbei. Aber das Auftreten einer moralisierenden Person, des
Pater Aubry in „Atala,“ des pere Souel in „Rene,“ rechtfertigt
die Einfügung der beiden Novellen in den G. d. ch., — allerdings
nur bis zu einem gewissen Grade. Denn die Lehre, die der Pater
Souel dem jungen Europäer erteilt, ist ebensosehr heidnisch, wie
sie christlich ist; das Gebot „sei deiner Pflichten als Mensch ein
gedenk und verträume dein Leben nicht tatenlos“ ist allgemein
menschlich. Ebenso sind die Reden des pere Aubry am Toten
bette der Atala, wie schon Morellet in seinen „Observations
critiques sur Atala“ 94 ) nachwies, gröfstenteils wenig angebracht
und lassen die Tendenz der Dichtung zu stark und in störender
Weise hervortreten. Andererseits aber bildet „Atala“ eine Art
von reizvoller Ergänzung des Teiles des G. d. ch., der die Missions
tätigkeit verherrlicht; 95 ) es wird uns die segensreiche Tätigkeit
des alten Missionars in den amerikanischen Urwäldern anschaulich
geschildert 96 ). Von diesem letzten Punkte abgesehen können wir
nach dem bisher Gesagten wohl behaupten, dafs „Atala“ durch
die einigermafsen gewaltsame Einführung der christlichen Tendenz
in dieser Dichtung mindestens nicht gewonnen hat. Wenn Cha