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Ganz allgemein gesagt: von der „vanite de nos jours, et la
plus grande vanite de nos projets.“ 77 ) Mitunter von einer glück
lichen Vergangenheit ; 78 ) so namentlich Lamartine in denjenigen
seiner Meditations, die dem Andenken Elvirens gewidmet sind.
Im Grunde aber ist es ein unbekanntes, unnennbares Etwas, das
sie beide quält, das ihre Seelen erfüllt und ihnen niemals Ruhe
läfst. Schon in seinem Erstlingswerke schreibt Chateaubriand:
„Je l’ai aussi sentie, cette soif vague de quelque chose“ 79 ) und
Rene sagt von sich ,.je cherche seulement un bien inconnu dont
l’instinct me poursuit.“ 80 ) Im gleichen Sinne schreibt Lamartine
von sich und seinem Freunde: „. . . pourquoi avons-nous tous
deux ce je ne sais quoi dans l’äme qui ne nous laissera jamais
un instant de repos avant que nous ne l’ayons satisfait ou
etouffe? . . ,“ 81 ) In Wirklichkeit ist das Unbekannte, das sie
quält, ihre Unfähigkeit, ihrem Leben einen festen Zweck zu ver
leihen; aber dessen sind sie sich nicht bewufst und deshalb macht
dieses unaufhörliche, vergebliche Jagen nach einem — da un
bekannten, — unerreichbaren Ideale die Weitschmerzier zu den
unglücklichsten von allen Menschen; 82 ) sie kommen schliefslich
sogar zu dem Glauben, dafs sich an ihre Person ein böses Ver
hängnis für die sie umgebenden Mitmenschen knüpfe. 83 ) Ein be
zeichnender Zug ist es in dieser Hinsicht, wenn Atala erzählt:
„Ma triste destinee a commence presque avant que j’eusse vu la
lumiere. Ma mere m’avait, congue dans le malheur, je fatigais son
sein, et eile me mit au monde avec de grands dechirements
d’entrailles, 84 )“ wenn Rene berichtet, seine Mutter sei bei seiner
Geburt gestorben, 85 ) und wenn Laurence ihre Mutter gleichfalls
schon bei der Geburt verliert. 86 )
Es darf indessen nicht unerwähnt bleiben, dafs auch in dieser
Beziehung bei Lamartine ein Fortschritt Chateaubriand gegenüber
festzustellen ist. Der Weltschmerz Lamartines ist ein mehr ruhiger,
mehr entsagender und läfst die Verzweiflung, die Zerrissenheit
vermissen, die denjenigen Chateaubriands, — namentlich im Rene,
— charakterisieren. Ursprünglich unterschied sich, wie oben ge
zeigt, 87 ) des jugendlichen Lamartines Weltschmerz in keiner Be
ziehung von demjenigen Renes, er war ebenso verzweifelt und
holfnungslos. Aber auch Lamartine fand dort Rettung in seinem
Leiden, wo wir sie für Rene erhoffen dürfen, 88 ) in der Poesie;
wie diesen die Dichter und ihre unsterblichen Werke immer wieder
anziehen, 89 ) so beschäftigt sich auch Lamartine in seinen Jugend-
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