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Streben, sich persönlich in seinen Werken auftreten zu lassen,
steigert sich also bisweilen bis zur Unwahrheit.
Dafs „Rene“ eine durchaus autobiographische Novelle ist,
haben wir schon oben 14 ) gesehen. Wenn Chateaubriand nicht den
Mut besafs, die „Ich“-Form für diese Dichtung zu wählen, so ist
das wohl zu gleichen Teilen dem heiklen Thema, sowie den Rück
sichten auf die Tradition und den Gebrauch zuzuschreiben; denn,
wie wir soeben sahen, 15 ) erregte schon das vorübergehende Auf
treten seines „moi“ im Essai seine lebhaftesten Bedenken.
Weniger weit geht die Subjektivität Chateaubriands in seiner
Novelle „Atala“ — im Epiloge tritt jedoch auch hier Chateau
briand persönlich vor den Leser hin! — und in dem Prosaepos
„Les Martyrs,“ während sie in dem Drama „Mo'ise“ naturgemäfs
ganz fehlt. Es ist indessen zu berücksichtigen, dafs auch diese
Dichtungen, wie die vorher genannten, ihr Entstehen einer be
stimmten Tendenz 16 ) verdanken, also schon dadurch, allerdings
im weiteren Sinne des Wortes/subjektiv sind 17 ). Überdies ver
leiht Chateaubriand seinen Helden, Chaktas sowohl wie Eudore,
verschiedene Eigenschaften seines eigenen Charakters, wie nament
lich den Weltschmerz 18 ) und schliefslich zeigt sich seine Subjek
tivität in der parteilichen Art, mit der er die von ihm in Er
zählungen eingeführten Personen darstellt. Persönlichkeiten, deren
Charakter dem seinen nahe steht, schildert er im günstigsten
Lichte. In den „Martyrs“ z. B. stellt er die Christen völlig
idealisiert dar, während für die Heiden die düstersten Farben zur
Anwendung gelangen.
Chateaubriand selbst täuscht sich über seine Subjektivität
in eigentümlicher Weise, wenn er in einer, der Neuausgabe des
Essai von 1826 zugefügten Anmerkung 19 ) nur von diesem Werke
behauptet, dafs man das „moi“ überall darin finde, und wenn er
es für nötig hält, diese Tatsache gegen den Vorwurf der Eitel
keit zu verteidigen 19 ). An einer anderen Stelle widerspricht er
dem selbst und gibt damit die richtige Erklärung seiner Subjek.
tivität: „Chaque homme porte eu lui un monde compose de
tout ce qu’il a vu et aime, et ou il rentre sans cesse, alors meine
qu’il parcourt et semble habiter un monde etranger.“ 20 )
Den Fortschritten gemäfs, die der Romantizismus in der
Zwischenzeit gemacht hatte, finden wir bei Lamartine den Subjek
tivismus noch weit stärker ausgeprägt. In seinen Werken tritt
nirgends ein Bedenken wegen eines allzu häufigen Gebrauchs des