Full text: Der Parallelismus zwischen Chateaubriand und Lamartine

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andere Charakteristikum der Religion unseres Dichters, den Hang 
zum Mystizismus, den wir in dem soeben angeführten Briefe an 
Mme Recamier so stark ausgeprägt finden, und der eine Folge 
der Empfänglichkeit Chateaubriands für sinnliche Eindrücke ist. 
Die Menschwerdung Christi im Leibe einer Jungfrau z. B. belehrt 
uns von dem „prodige de la creation physique,“ sie zeigt uns 
„l’univers se formant dans le sein de Pamour celeste. Les paraboles 
et les figures de ce mystere seroient ensuite gravees dans chaque 
objet autour de nous. Partout en effet la force nait de la gräce: 
le fleuve sort de la fontaine, le lion est d’abord nourri d’un lait 
pareil ä celui que suce l’agneau; et parmi les hommes, le Tout- 
Puissant a promis la gloire du ciel ä ceux qui pratiquent les plus 
humbles vertus“. 107 ) Auch diesem aufs Geratewohl gewählten 
Beispiele liefsen sich wohl fast ebenso viele hinzufügen als das Werk 
Seiten hat. 
Forscht man nun nach, ob sich diesen religiösen Äufserlich- 
keiten auch eine Verinnerlichung des christlichen Glaubens zu 
gesellt, so kommt man zu einem verneinenden Ergebnisse; auch 
für Chateaubriand gilt das berüchtigte „Tu wie ich spreche, nicht 
wie ich handle.“ Die aufdringliche Eitelkeit, die sein Wesen 
charakterisiert, seine Eifersucht und Gehässigkeit den zeitge 
nössischen Persönlichkeiten gegenüber lassen die von ihm so hoch 
gepriesenen Tugenden in bedenklichem Mafse vermissen. Des 
gleichen zeigt sein Verhältnis zu seiner Gattin, dafs seine An 
sichten über die Heiligkeit der Ehe 108 ) für ihn nur Theorien waren. 
Kurz nach der Eheschliefsung verliefs er seine Gattin, um sich 
während der nächsten zwölf Jahre nur ein Mal gelegentlich 
24 Stunden lang auf der Durchreise mit ihr zusammen zu finden. ,09 ) 
Während dieser 12jährigen Trennung spielte sich die oben 110 ) be 
richtete Charlotte-Jves-Episode in England ab und auch die Jahre 
des Zusammenlebens mit Madame de Beaumont fallen in diese 
Zeit. Aber auch nachdem, wohl auf Veranlassung seiner Freunde, 
die den Verfasser des G. d. ch. auf das Unhaltbare des bestehenden 
Zustandes aufmerksam gemacht hatten, 111 ) die Wiedervereinigung 
der beiden Ehegatten vollzogen war, erscheint Chateaubriands 
Gattentreue verschiedentlich in recht zweifelhaftem Lichte: Es sei 
hier an das Rendezvous mit der Herzogin de Mouchy erinnert, 
das des Dichters fromme Pilgerfahrt nach Palästina in der Al 
hambra beschlofs, 112 ) und die „Liaison“ erwähnt, die den mehr 
als 60 jährigen Mann vorübergehend an eine Modeschönheit zweifei-
	        
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