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brauchte seinen ganzen Lebensabend dazu, durch „literarische
Zwangsarbeit“ 3n ) die zur Regelung seiner Vermögensangelegen
heiten nötigen Mittel zu beschaffen. So übergab er, um nicht
sein Familiengut Saint-Point verkaufen zu müssen, 1849 seine 1843
begonnenen „Confidences“ der Öffentlichkeit. Sie sind den M. d. t.
Chateaubriands zu vergleichen insofern, als sie uns durch die
Graziella- und die Raphael-Episode einen Kommentar zu den
schönsten Jugendliedern des Dichters geben, gerade wie Chateau
briand in seinen „Erinnerungen“ gelegentlich den Schleier von
seinen Romanfiguren lüftet und uns das Urbild Atalas und Ce-
lutas 212 ), Renes und Amelies 213 ) zeigt.
Aus Sparsamkeitsrücksichten mufste Lamartine bald sein
Wohnhaus auf der rue de l’Universite verlassen und sich in dem
Erdgeschosse eines Hinterhauses auf der rue de la Ville-l’Üveque
einmieten, wo er eine Art Bücherfabrik begründete. 214 ) Völlig
von der Aufsenwelt zurückgezogen, nur mit ganz wenigen Freunden
einen sehr unregelmäfsigen Briefwechsel unterhaltend, arbeitete er
vom frühen Morgen bis zum späten Abend, nach seinem eigenen
Ausdrucke, wie ein Galeerensträfling. 215 ) Von 1849—52 entwickelte
er in einer monatlich erscheinenden Zeitschrift, „Le Conseiller du
Peuple“, seine Gedanken über soziale Reform; als dieses Blatt
durch den Staatsstreich vom Jahre 1851 unterdrückt wurde, ver
öffentlichte er in einer rein litterarischen Revue, „Le Civilisateur“,
Lebensbeschreibungen berühmter Persönlichkeiten. Daneben war
er mit einer „Histoire de la Restauration“ beschäftigt und liefs
gleichzeitig (1850) ein füufaktiges Drama, „Toussaint Louverture“,
spielen, ohne damit mehr Anklang zu finden als Chateaubriand
mit seinem Buch-Drama „Mo'ise“. 216 ) Unermüdlich arbeitete er
weiter: Der Geschichte der Restauration (1851 ff) folgten 6 Bände
„Histoire de la Turquie“ und 1855 eine zweibändige Geschichte
Rufslands; 1856 begann er die Herausgabe eines „Cours familier
de Litterature“, in dem er politische und litterarische Kritik in
buntem Gemisch ausübte. Aber alle Versuche, sich aus der quälen
den Geldnot zu befreien, blieben erfolglos, seine Vermögensver
hältnisse verschlimmerten sich fortgesetzt. 1858 sah er sich
schliefslicli genötigt, an den Verkauf seiner Güter zu denken.
Nach Chateaubriands Vorgang 217 ) wollte auch er eine Lotterie
zu diesem Zwecke veranstalten, aber er erhielt hierzu nicht die
staatliche Genehmigung. Mehrere Freunde regten eine öffentliche
Sammlung für ihn an, aber die Beiträge flössen nur spärlich.