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Im Gegensätze zu Chateaubriand war Lamartine während
seiner politischen Laufbahn poetisch nicht untätig gewesen. Gleich
zeitig mit seinen Reiseerinnerungen hatte er 1834 seine noch im
Entstehen begriffene Dichtung „Journal d’un Vicaire“ 203 ) verkauft,
die 1836 unter dem Titel „Jocelyn, journal trouve chez un eure de
village“ erschien. Es war dieses eine Episode des grofsen, seit
Dezember 1823 204 ) geplanten Epenzyklus, der die Geschichte der
Menschheit von Erschaffung der Welt bis zum jüngsten Gerichte
umfassen sollte. 205 ) Aufser Jocelyn kam jedoch von diesem Zyklus
nur noch eine Art Vorspiel, „La chute d’un ange“, zur Vollendung
und wurde 1838 veröffentlicht. Im folgenden Jahre hatte der
Dichter dann seine letzte Sammlung Poesien herausgegeben, die
„Recueillements poetiques“. 206 )
Aber der Erfolg, der dem Dichter des Jocelyn noch treu ge
blieben war, verliefs ihn bei den letzten beiden Veröffentlichungen;
die Kritik erlaubte sich scharfe Angriffe gegen Lamartine, so dafs
er der Poesie immer überdrüssiger wurde. Schon 1837 hatte er
sich Virieu gegenüber in diesem Sinne geäufsert 204 ) und allmählich
überredete er sich selbst, dafs für einen Mann in einer politischen
Stellung, wie die seine war, das Dichten eine unwürdige Be
schäftigung wäre: „C’est trop pueril pour le chiffre de mes annees.
La rime me fait rougir de honte. Sublime enfantillage dont je ne
veux plus. — Philosophie et politique, je ne vois plus que cela,
et cela se fait en prose. Ainsi, adieu serieux non ä la poesie,
mais aux vers.“ 208 ) So schrieb er denn eine achtbändige Ge
schichte der ersten Jahre der französischen Revolution unter dem
Titel „Histore des Girondins“; sie erschien in den Monaten März
bis Juni des Jahres 1847 und hatte einen ungeheueren Erfolg,
welcher dem Umstande zuzuschreiben war, dafs Lamartine durch
eine gehobene Form der Darstellung, nach des älteren A. Dumas’
Ausspruch, „die Geschichte auf die Höhe des Romans erhoben
hatte“. 209 )
Nach diesem Triumphe folgte der noch gröfsere politische
während der Februar-Revolution und dann der unverdiente, tiefe
Fall, der auch Lamartine in das gröfste Elend stürzen sollte. Auch
er dachte daran, das undankbare Vaterland zu verlassen. Der
Sultan Abd-ul-Medjid hatte ihm in Anerkennung seiner bedeuten
den Verdienste um das Morgenland ein grofses Gut in Ivlein-Asien
zur Nutzniefsung auf 25 Jahre angeboten, aber seine finanziellen
Verpflichtungen hielten den Dichter in Frankreich fest. Er ver-
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