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Jetziger Status: Der Kranke ist ein kleiner, zierlich gebauter
Mann in mäßigem Ernährungszustände. Die inneren Organe sind gesund.
Auch hier ist die Haut des Gesichtes und Halses, der Vorderarme und
der Hände in derselben Weise ergriffen wie bei Hans. Die Wangen,
Schläfen und Supraorbitalgegenden zeigen außerdem viele verschieden
große, strahlige Karben. Auf der rechten Wange sieht man eine mulden
förmige Einziehung, die von narbiger Haut bedeckt ist und gut fttnf-
markstiickgroß ist. An der rechten Ohrmuschel fehlt der hintere obere
Abschnitt sowie das Ohrläppchen. Die linke Ohrmuschel ist im ganzen
geschrumpft, so daß sie nur die Größe eines Daumennagelgliedes hat. Die
rechte Lidspalte ist etwas in die Breite verzogen. Das obere Lid bedeckt
die Hornhaut bis zur Mitte. Das untere Lid ist stark ectropioniert. Die
Bindehaut ist stark injiciert. Die Follikel sind geschwollen. Es besteht
lebhafte Lichtscheu. An Stelle des linken Auges befindet sich nur eine
muldenförmige Vertiefung in der Orbita, die von narbiger, glatter, weiß
licher Haut bedeckt ist. Uber die Mitte verläuft eine quere, ziemlich
grade Narbe. Am linken Supraorbitalrande, etwas nach außen von der
Mitte, ist die Haut auf linsengroßem Umfange kraterförmig ulceriert.
Mikroskopisch: Epithelkarzinom (Röntgenbehandlung). Die Schleimhaut der
Zunge ist scheckig verändert, jedoch nur an den Rändern und der Unter
fläche. Es sind auch hier Gefäßektasien, Pigmentierungen und atrophische
Stellen sichtbar. Die hinteren Abschnitte der Mundhöhle sind frei. Das
Lippenrot der Oberlippe ist etwas links von der Mittellinie gespalten;
von hier aus setzt sich eine unregelmäßige, strahlige Narbe nach der
Nase zu fort. Die Oberlippe ist im ganzen verkürzt, so daß die Schneidezähne
fast bis zum Zahnfleisch hin unbedeckt sind. Beim Trinken wird der Kranke
hierdurch jedoch nicht gestört. Die Haut des übrigen Körpers läßt keine
Veränderungen wahrnehmen; sie ist weich, glatt und sehr wenig pigmentiert.
Fall DL
Anamnese: Auch bei Otto, jetzt im 35. Lebensjahre, begann die
Krankheit etwa mit dem 1. Lebensjahre. Sie zeigte keine sonderlichen
Unterschiede in ihrem Verlaufe gegen die der Brüder. Auch hier traten
vom 6. Lebensjahre an Geschwülste im Gesicht auf. Schon sehr früh
entwickelte sich eine außerordentlich starke Konjunktivitis mit intensiver
Lichtscheu, so daß der Patient bald in der Schule nicht mehr folgen konnte,
weil ihm Lesen und Schreiben unmöglich wurden. Auch später standen
die Augenerscheinungen dauernd im Vordergründe. Rüders Angaben
vom Jahre 1880 sagen, daß Otto, 9 Jahre alt, ein dunkelblondes, kräftiges
Kind war, dessen Gesicht über und über mit bohnengroßen braunen
Flecken, die teils confluierten, teils von roten Flecken unterbrochen waren,
bedekt war. Diffuse Perlmutterfärbung zeigte sich am Nasenrücken und
den Infraorbitalgegenden. Lippensaum, Wangen, Ohrmuscheln, Warzen
fortsätze, Handrücken und Unterarme waren mit linsengroßen braunen
Warzen besetzt. Es bestand starke Konjunktivitis. Schon damals war
ein haselnußgroßer Tumor der Unterlippe mehrmals excidiert.