Noch bis ins vorige Jahrhundert hinein waren die aben
teuerlichen Vorstellungen der griechischen und römischen
Ärzte über das Wesen der Hysterie, wie sie in den Schriften
des Hippokrates, Celsus und Galen Ausdruck gefunden
haben, für die Auffassung der Hysterie maßgebend. Ganz
allgemein war die Ansicht verbreitet, daß pathologische Vor
gänge in der Genitalsphäre des Weibes der Ausgangspunkt
des Leidens seien, und daß somit natürlich nur Frauen an
Hysterie erkranken könnten. Zwar waren schon öfter Leute
aufgestanden, die das Irrige dieser Ansicht beweisen wollten,
so im 17. Jahrhundert Gharles Lepois (1617), bei dem
wir die Sätze finden: „Hysterica symptomata vulgo dicta
omnia fere viris cum mulieribus communia sunt“ und weiter
,,Enim vero experientiae fide, multae pnellulae vivunt hy-
stericis tentatae symptomatibus ante duodecim aetatis annum“,
und ebenso im 18. Jahrhundert Sydenham (1757), der
klar zum Ausdruck brachte, daß die Hysterie auf einer
Erkrankung des Nervensystems beruhe und daß sie somit
nicht an die Frauen gebunden sei, doch fanden sie alle
wenig Beachtung, jedenfalls weil die alte, Jahrtausende hin
durch gegoltene Anschauung zu feste Wurzeln geschlagen
hatte.
Her erste, der eine entscheidende Wendung herbeiführte,
war Briquet 1 ), der nachwies, daß die Hysterie mit den
weiblichen Sexualorganen garnichts zu thun habe, daß es
) Briquet: Traite clinique et therapeutique de l’hysterie. Paris 1859,