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scheinung des Mannes an ihrem Bette zu Beginn ihrer
Erkrankung als eine hallucinatorische Sinnestäuschung des
Gesichtes betrachten. Symptome einer Verlangsamung des
Denkens und Handelns sind nicht zu verzeichnen, vielmehr
bietet die Kranke die Zeichen einer ausgesprochenen mo
torischen Unruhe. Es hält schwer, sie in ihrem Bett zu
halten, befindet sie sich außerhalb desselben, so ist sie meist
in fieberhafter Tätigkeit. Ich möchte daher eine „Melan
cholie attonita oder cum stupore“ in unserm Falle ausschließen
und das Krankheitsbild unter die Form der „Melanchoiia
agitata“ reihen. Was die Krankheit in psychiatrischer Hinsicht
interessant erscheinen läßt, ist die stark ausgeprägte Neigung
der Patientin zu Suicidalversuchen. Alles, was ihr dazu
helfen kann, benutzt die Kranke; so beim Beginn der Er
krankung noch während ihres Aufenthaltes bei der Schwester
die Versuche, in den Brunnen zu gehen, alles Schädliche
zu trinken, was sie erlangen kann, den Erdrosselungsversuch
an ihrem Bettpfosten, wo man sie schon bewußtlos vor
gefunden hat. Dann während der Beobachtung in hiesiger
Klinik die Mitnahme einer Scheere ins Bett, das Zusammen
knoten zweier Taschentücher um den Hals während einer
Nacht. Ferner der Fund einer Schreibfeder, Handtücher
unter dem Bettkissen, das Trinken von Sublimat-Spiritus,
die Verletzung der arteria radialis, die Stichverletzungen in
der Herzgegend, das Uberschlucken dreier chirurgischer
Nadeln. Alle Selbstmordversuche mißglückten zum Teil,
zum Teil wurde die Patientin frühzeitig von der Ausführung
derselben ferngehalten, nur der letzte Selbstmordversuch,
das Überschlucken der drei Nadeln, sollte ihr zum Verhängnis
werden. Das Durchdringen der Nadeln durch die Darmwand
und die sich au dieser Verletzung anschließende eitrige Perito
nitis haben den Tod der Patientin zur Folge gehabt. Gesetzt,
daß auch Letzteres zu vereiteln gewesen wäre, so wäre es
doch wohl in unserm Falle schwierig gewesen, die Patientin
von diesen Selbstmordgedanken für ihr späteres Leben zu
befreien.
Da es sich also bei unserer Kranken in ausgesprochener
Weise um einen Fall von Melancholie gehandelt hat, und Pa-