Full text: Ein Fall von Melancholia gravis mit suicidalem Trieb

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gestorben sein. Hereditäre Belastung konnte nicht nach 
gewiesen werden. Patientin war schon als Kind leicht erregt, 
will aber nie ernstlich krank im Leben gewesen sein und 
in der Schule gut gelernt haben. Eine Verletzung, die ihren 
Gemütszustand hätte zur Folge haben können, will sie 
nicht gehabt haben, ebenfalls wird Potatorium und geschlecht 
liche Infection in Abrede gestellt. Bis zu ihrem 21. Lebens 
jahre wohnte sie bei ihren Eltern. Dann ging sie in Dienst 
nach Auswärts. Hatte ständiges Heimweh. Beim Besuch 
ihrer Angehörigen fiel es denselben auf, daß sie stets sehr 
blaß wurde, dabei weinte sie und war sehr still. Sonst 
soll sie sehr lebenslustig gewesen sein. War bis zum 1. Mai 
1903 in ihren Stellungen nie krank. An diesem Tage nahm 
sie eine neue Stelle als Wirtschafterin in der Nähe von 
Travemünde an. Sie soll sehr tüchtig und fleißig in ihrem 
Berufe gewesen sein. Schrieb in der ersten Zeit von Trave 
münde aus garnicht an ihre Anverwandte. Ende Mai 
desselben Jahres bei einem Besuch bei einer verheirateten 
Schwester klagte sie derselben vor, daß sie mit ihrer Arbeit 
nicht fertig würde, es sei alles so schwarz bei ihr, sie sei 
nichts mehr wert, sei zu schlecht, wolle nicht mehr leben. 
Erzählte dann der Schwester, daß ein Mann nachts bei ihr 
gewesen sei und sie habe trösten wollen. Derselbe habe sieh 
ganz ausgezogen. Der Betreffende sei mit ihrem Herrn, bei 
dem sie in Stellung war, eng befreundet und sei ver 
heiratet gewesen. Patientin selbst hätte geschlafen, als der 
Mann sich an ihrem Bette ausgezogen hätte. 
Acht Tage später habe sie die Stellung aufgeben müssen, 
weil sie immer weinte, lebensüberdrüssig war und sich das 
Leben nehmen wollte. Eine Schwester nahm sie zu sich. 
Bei derselben ging sie eines Tages in einen Brunnen, kam 
aber selbst,,wieder heraus, weil er nicht tief genug war. 
Mehrere Wochen hielt sie sich dann in der Wohnung ihrer 
Angehörigen auf. War sehr still, weinte viel. Wollte sich 
wiederholt das Leben nehmen. Machte sich Vorwürfe, daß 
sie es in ihrer letzten Stellung so schlecht gehabt habe. 
Es mache ihr Kummer, äußerte sie oft, daß ihre Verwandten 
es so gut mit ihr meinten. Die Verwandten nahmen darauf
	        
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