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Gleich den beiden erwähnten Geisteskrankheiten, die
differential-diagnostisch in Betracht kommen, ist es oft
schwierig, eine genaue Trennung zwischen Melancholie und
akuten paranoischen Zuständen zu machen. Denn wie bei
der Paranoia ausgesprochene V erfolgungsideen und Beziehungs
wahnvorstellungen das Krankheitsbild beherrschen, so können
diese Symptome bei den durch Angstaffekt ausgezeichneten
Fällen von Melancholie nur zu oft zur Beobachtung kommen.
Bedeutende Autoren wie z. B, S c h 1 o e ß , gehen so
weit, daß sie behaupten: „Es gicbt überhaupt kein sicheres
differential-diagnostisches Merkmal zwischen Melancholie und
Paranoia. Nach ihrer Ansicht kann in zweifelhaften Fällen
nur eine genau aufgenommene Anamnese auf den richtigen
Weg helfen.
Was die Dauer der Melancholie anlangt, so kann sich
die Erkrankung über Monate, ja selbst über ein Jahr er
strecken, ehe man von einer Besserung fesp. einer Heilung
sprechen könnte. Es ist von großer Wichtigkeit zu wissen,
daß bei Melancholieen des vorgeschrittenen Alters oft noch
nach vier bis 5 Jahren die Möglichkeit einer Heilung ge
geben ist. Der Übergang in Genesung ist in den meisten
Fällen ein allmählicher, die Symptome, die für Melancholie
charakteristisch sind, bilden sich langsam aber stetig unter
Besserung des Allgemeinbefindens, Zunahme des Appetits,
Einstellen erquicklichen Schlafes zurück.
Was die Dauer der Krankheit bis zur Heilung betrifft,
so lehren die Beobachtungen, daß dieselbe von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt zunimmt. Daher, je früher ein Individuum
von dieser Krankheit befallen wird, um so günstiger ist die
Aussicht auf Heilung, um so kürzere Zeit braucht der
Kranke bis zu seiner völligen Wiederherstellung. Während
also die im jugendlichen Alter auftretenden Fälle von Me
lancholie die meisten Chancen zur Heilung bieten, muß die
Prognose der senilen Melancholie stets als eine zweifelhafte
hingestellt werden, wenn auch, wie schon erwähnt, die
Formen des vorgerückten Alters die Tendenz zur Ausheilung
nicht völlig ausschließen.