Full text: Ein Fall von Melancholia gravis mit suicidalem Trieb

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gungsunruhe ein. Während der stupuröse Melancholiker 
ständige Ruhe wahrt, und jede Bewegung ihm Qualen be 
reitet, kommt ein derartiger Kranker keinen Augenblick zur 
Ruhe. Es fällt dem Bewachungspersonal schwer, dieselben 
in ihrem Bett zu halten. Jeden unbewachten Augenblick 
benutzen diese Kranken, um aus ihrem Bett zu springen. 
Sie zerkratzen die Bettdecke, die Bettpfosten, ihr Gesicht, 
zerraufen sich das Haar; — kurz, alles, was ihnen unter 
die Hände kommt, suchen sie zu zerstören oder wenigstens 
zu beschädigen. Sind sie außerhalb des Bettes, so laufen 
sie in ihrem Zimmer unstät hin und her, von den heftigsten 
Wahnvorstellungen gequält. Diese Wahnideen der Angst, 
der Versündigungen aller Art können bei einem solchen 
Kranken derartig schnell wechseln, daß man von einer 
„melancholischen Ideenflucht“ spricht 
Als ein dem starken Angstaffecta entsprechendes 
Symptom bemerken wir oft das Auftreten von lebhaften 
Vorstellungen im Sinne der Verfolgung. Der Inhalt derselben 
kann ein sehr wechselnder und phantastischer sein; zum 
Mindesten ist es immer auf den Tod des Kranken abgesehen. 
In Beziehung zu diesen Verfolgungsideen steht noch 
ein anderes Symptom, nämlich der Beziehungswahn. Alles, 
was um den Kranken geschieht, hat nach seiner Ansicht 
Bezug auf ihn; alle Vorgänge um ihn herum beobachtet 
er mit argwöhnischen Blicken und glaubt darin geheime, 
im Einverständnis mit seinen Verfolgern gegebene Zeichen 
zu entdecken. 
Alle diese melancholischen Zustände können insofern 
eine Modifikation erfahren, als sich dem Krankheitsbilde 
Wahnvorstellungen hypochondrischer Natur zugesellen. Im 
Allgemeinen sind diese hypochondrischen Ideen die Begleit 
erscheinungen einer fortgeschrittenen Erkrankung. Dieselben 
können im Vorstellungskreise des Kranken eine sehr ver 
schiedene Rolle spielen. In den Fällen, die in das Gebiet 
der Angstmelancholie gehören, können sie so in den Vorder 
grund der Erkrankung treten, daß die eigentlichen Symp 
tome der Melancholie garnicht auffallen. Gewöhnlich ist es 
der Zustand des Magen-Darmkanals, der den Kranken be- 
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