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Diejenige Form der Melancholie, wo als Hauptsymptom
der Angstaffekt in den Vordergrund der Krankheitserschei-
nungen tritt, haben die Psychiater mit der Bezeichnung
,,Melancholia agitata“ belegt, im Gegensatz zu der Form
der Melancholie, wo die Hemmungen die Angst überwiegen.
Bei den Formen, wo letzteres der Fall ist, treten die Hem
mungen, wenn der Krankheitsproceß schon weit vorgeschritten
ist, deutlich zu Tage.
Auf Befragen antwortet der Kranke langsam und
zögernd, es macht ihm sichtliche Mühe, sich über Sachen
und Vorgänge in seinem Leben zu orientieren, die einem
gesunden Menschen nie Schwierigkeiten bereiten können.
So erlebt man, daß es oft lange dauert, bis die Antwort
auf die gestellte Frage erfolgt.
Jeder Bewegungsvorgang kann sich bei einem der
artigen Kranken bis zum „psychischen Schmerz“ steigern.
Die Folge ist, daß ein derartiger Kranker sich ständig nach
Ruhe sehnt. Außer Bett verharrt er oft stundenlang in ein
und derselben Stellung. Bei den schwersten Fällen dieser
Art kann der Hemmungszustand derartig ausarten, daß die
Psychiater von einer „Melancholia cum stupore“ reden.
Stellt man in diesem Zustand eine Frage an den Kranken,
so erfolgt überhaupt keine Antwort, es können Tage und
Wochen darüber verstreichen, ohne daß man eine Silbe von
diesen Kranken hört. Die Hemmung kann so stark aus
geprägt sein, daß eine Extremität des Kranken in irgend
eine Lage vom Arzt gebracht, eine zeitlang in derselben
verharrt, ehe sie die Lage verändert oder so lange, bis der
Kranke sie nicht mehr in der Lage zu halten vermag. Der
Verlauf der Melancholia cum stupore oder attonita kann
ein verschiedener sein. Oft lassen die Hemmungserschei-
nungen plötzlich nach, oft tritt nach mannigfachem Wechsel
von freieren oder gehemmten Zeiten eine allmähliche Lösung
des Stupors ein.
Den Gegensatz zu dieser Form der Melancholie bietet,
wie schon kurz angedeutet, „die Melancholia agitata“. Bei
derselben tritt an Stelle der motorischen Hemmung Bewe