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Wir haben also die interessante Erscheinung, dass die beiden licht-
percipirenden Apparate, welche sich in unserem Auge neben einander
vorfinden und sich nur durch besondere Versuchsmethoden in ihren
von einander abweichenden Functions weisen durchschauen lassen, bei den
Vögeln in der Regel nicht bei ein und derselben Art vereinigt Vor
kommen, sondern dass in den Augen der Tagvögel nur der eine, nämlich
der Zapfenapparat, und in den Augen der Nachtvögel nur der andere, der
Stäbchenapparat, vorhanden ist. Dass diese Differenz zwischen den Netz
häuten von Tag- und Nachtvögeln sich nicht nur anatomisch, sondern
auch fuuctionell durch die galvanometrische Feststellung der verschiedenen
Erregbarkeitsverhältnisse uachweisen lässt, ist ein vergleichend-physiologischer
Befund, welcher die Duplicitätstheorie der menschlichen Netzhautphysiologie
gut zu stützen geeignet ist.
III. Versuche an Säugeraugen.
1. Richtung, zeitlicher Ablauf und Grösse der Netzhautströme.
Von Säugern habe ich Kaninchen, Katze und Hund untersucht und
zunächst festgestellt, dass der Dunkelstrom hier in fast allen Fällen die gleiche
Richtung hatte, welche am Froschauge und an den Augen der Vögel gefunden
wurde, dass er also im äusseren Stromkreis von der Cornea zum hinteren
Augenpol floss. Im Laufe des Versuches sank der Stromwerth langsam ab,
erreichte aber in der Regel auch nach dreistündiger Versuchsdauer nicht
Null werth. Nur in einem Falle, bei einem Hunde, war nach etwa ein-
stündiger Versuchsdauer der Nullpunkt passirt, und man hatte jetzt einen
Dunkelstrom, welcher vom hinteren Augenpol zur Cornea im Galvanometer
kreis, also umgekehrt wie normal floss, ln diesem Falle aber bewahrheitete
sich bezüglich der photoelektrischen Schwankungen das Kühne’sche „Gesetz
der constanten Spannungsänderungen“. Trat nämlich die Belichtungsreaction
in Form einer positiven Schwankung des Dunkelstromes auf, so lange dieser
die ursprüngliche normale Richtung hatte, so verwandelte sie sich in eine
negative Schwankung, nachdem der Dunkelstrom umgekehrte Richtung an
genommen hatte. Richtung und Ablauf der photoelektrischen Schwankungen
erwies sich also als unabhängig von der Richtung des unterliegenden Dunkel
stromes.
Die Actionsströme, welche bei Belichtung und Verdunkelung auftraten,
zeigten, galvanometrisch beobachtet, ein höchst regelmässiges einfaches und
bei allen untersuchten Arten übereinstimmendes Verhalten. Bei Belichtung
trat (Fig. 13) eine positive Schwankung des Ruhestromes ein, welche
während der Dauer der Belichtung ein wenig zurückging, aber nur bei
mehrere Minuten fortgesetzter Reizung unter den Werth des Dunkelstromes
sank. Bei Verdunkelung erfolgte eine kräftige und schnell ablaufende