208 sie sei häßlich, glaubte er es zuletzt auch und wollte sie nicht haben; sie könne gehen, wohin sie wolle. Nun flogen sie mit ihr den Baum hinab und setzten sie auf ein Gänseblümchen; da weinte sie, weil sie so häßlich sei, daß die Maikäfer sie nicht haben wollten, und doch war sie das Lieb— lichste, was man sich denken konnte, so fein und zart, wie das schönste Rosenblatt. Den ganzen Sommer über lebte das arme Däumelinchen allein in dem großen Walde. Sie flocht sich ein Bett aus Grashalmen und hing es unter einem Kleeblatte auf, so war sie vor dem Regen geschützt; sie pflückte das Süße der Blumen zur Speise und trank vom Thau, der jeden Morgen auf den Blättern stand. So vergingen Sommer und Herbst, aber nun kam der Winter, der kälte, lange Winter. Alle Vögel die so schön von ihr gesungen hatten, flogen davon; Bäume und Blumen ent— blätterten sich; das große Kleeblatt, unter dem sie gewohnt hatte, rollte zusammen, und es blieb nichts, als ein verwelkter Stengel zurück; sie fror schrecklich, denn ihre Kleider waren entzwei, und sie war selbst so fein und klein, das arme Täumelinchen: sie mußte erfrieren. Es fing an zu schneien, und jede Schneeflocke, die auf sie fiel, war, als wenn man auf uns eine ganze Schaufel voll wirft; denn wir sind so groß und sie war nur einen Zoll lang. Da hüllte sich sich in ein dürres Blatt ein; aber das riß in der Mitte entzwei und wollte nicht wärmen; sie zitterte vor Kälte. Dicht vor dem Walde, wohin sie nun gekommen war, lag ein großes Kornfeld; aber das Korn war seit langer Zeit fort, nur die nackten, trockenen Stoppeln standen aus der gefrorenen Erde hervor. Die waren ein Wald für sie zu durchwandern, o, wie zitterte sie vor Kälte! Da ge— langte sie vor die Thüre einer Feldmaus. Die hatte ein kleines Loch unter den Kornstoppeln. Da wohnte die Maus warm und gemüthlich, hatte die ganze Stube voll Korn, eine herrliche Küche und Speisekammer. Das arme Däumelinchen stellte sich in die Thüre, wie ein armes Bettelmädchen, und bat um ein kleines Stück von einem Gersterkorn, denn sie hatte seit zwei Tagen nicht das Mindeste zu essen gehabt. „Du armes Thierchen!“ sagte die Feldmaus, denn im Grunde war sie eine gute Alte; „komm herein in meine warme Stube und speise mit mir!“ Da ihr nun Däumelinchen gefiel, sagte sie: „Du kannst meinetwegen den Winter über bei mir bleiben, aber Du mußt meine Stube sauber und rein halten und mir Geschichten erzählen, denn die liebe ich sehr.“ Und